ARD - 19.02.25 19:22 - 02:15:51 - 19.311 - Twitch
Der Mixtalk-Mittwoch beginnt mit der Begrüßung der Zuschauer und der Vorstellung des Themas: Wie kann das deutsche Schulsystem gerechter gestaltet werden? Es wird betont, dass das Thema jeden betrifft und zur aktiven Teilnahme am Gespräch eingeladen wird. Der Chat wird ermutigt, eigene Erfahrungen, Fragen und Kritikpunkte einzubringen. Die Moderatorin gesteht, dass sie die Schule selber mochte, aber Verbesserungspotenzial sieht. Eine Umfrage im Chat soll die persönliche Schulzeit der Zuschauer bewerten.
Bob Blume, Lehrer und Blogger, wird als erster Gast vorgestellt. Er äußert sich kritisch über das aktuelle Schulsystem und plädiert für eine komplette Runderneuerung. Obwohl er seine eigene Schulzeit positiv erlebt hat, sieht er als Lehrer viele Probleme, insbesondere die fehlende Relevanz des Lehrplans für die Lebenswelt der Schüler. Er kritisiert, dass Bildungssystem zwar wichtig ist, aber wenig darüber gesprochen wird. Er bemängelt, dass das System darauf aufbaut, dass das Lernen zu Hause stattfindet, was zu Ungerechtigkeiten führt, da nicht alle Schüler die gleiche Unterstützung erhalten.
Lisa Graf, Expertin für Bildungsgerechtigkeit und Host des Podcasts "Durchgefallen", wird als zweite Gästin vorgestellt. Ihr Fokus liegt auf der Frage, ob das Schulsystem gerecht ist, und sie beleuchtet die Gerechtigkeitslücken im System. Ein kurzer Filmausschnitt zeigt die verschiedenen Schulformen in Deutschland und weist darauf hin, dass nicht nur die Leistung, sondern auch die soziale Herkunft den Bildungsweg beeinflusst. Lisa berichtet über ihre Recherchen zu einer Grundschule, an der viele Kinder die erste Klasse wiederholen mussten, und betont, dass dies kein Einzelfall ist.
Bob Blume erklärt, dass das Schulsystem ungerecht ist, weil es darauf basiert, dass das Lernen hauptsächlich zu Hause stattfindet. Er kritisiert die frühe Selektion in verschiedene Schulformen und die mangelnde Durchlässigkeit des Systems von unten nach oben. Er plädiert für längeres gemeinsames Lernen und Individualisierung, wobei der Fokus darauf liegen sollte, den Schülern beizubringen, wie man lernt und sich Wissen aneignet. Bildung sollte nicht nur Wissensvermittlung sein, sondern auch Zusammenarbeit, Solidarität und Selbstwirksamkeit fördern.
Silvio, ein Lehrer aus Brandenburg, wird als Gast aus der Community vorgestellt. Er berichtet von den Problemen mit Demokratieverständnis und einem veralteten Schulsystem, betont aber auch die positiven Entwicklungen durch neue Kollegen und den Einsatz von KI. Eine Umfrage zeigt, dass viele Lehrkräfte digitale Angebote im Unterricht noch nicht regelmäßig nutzen und sich nicht ausreichend darauf vorbereitet fühlen. Silvio berichtet, dass einige seiner Kollegen Bedenken wegen des Datenschutzes haben und sich deshalb nicht an KI-Tools herantrauen. Die Diskussion dreht sich um die Frage, ob Handys in der Schule erlaubt sein sollten.
Lisa Graf äußert sich zu der Frage, inwiefern die Schule die Diskrepanz zwischen den digitalen Möglichkeiten der Kinder zu Hause und in der Schule ausgleichen kann. Sie betont, dass die Bereitstellung von Geräten allein nicht ausreicht, wenn beispielsweise kein WLAN zu Hause vorhanden ist. Auch die Lernumgebung und die Unterstützung durch die Eltern spielen eine entscheidende Rolle. Studien zeigen, dass Schulen in sozial benachteiligten Stadtteilen weniger Gelder für digitale Medien abrufen konnten. Bob Blume betont, dass Medienkompetenz ein fundamentaler Bestandteil aller Fächer sein sollte, da das Netz allgegenwärtig ist.
Ein Ausschnitt aus dem Podcast "Durchgefallen" zeigt die Schwierigkeiten einer Schulleiterin, die Hausaufgabenbetreuungsplätze auslosen muss. Silvio bestätigt, dass es auch an seiner Schule keine ausreichende Hausaufgabenbetreuung gibt und Nachhilfeangebote oft nicht finanziert werden können. Herr Härter, ein weiterer Lehrer und Streamer, wird als Gast vorgestellt. Er sieht die größten Probleme im Digitalisierungsproblem und der fehlenden Anerkennung der Lebenswelt der Schüler durch die Lehrkräfte. Er kritisiert die Ungerechtigkeit des Schulsystems, die sich darin äußert, welche Chancen Kinder aufgrund ihrer sozialen Herkunft haben.
Lisa Graf betont, dass mehr Lehrkräfte und psychosoziales Personal an den Schulen benötigt werden. Prognosen zeigen jedoch, dass der Lehrermangel eher steigen wird. Bob Blume erklärt, dass der Beruf des Lehrers nicht mehr so attraktiv ist, weil immer mehr Aufgaben auf die Lehrer abgewälzt werden, ohne dass sie ausreichend unterstützt werden. Er zitiert Studien, die zeigen, dass nur ein Drittel der Arbeitszeit von Lehrern tatsächlich für den Unterricht verwendet wird. Er warnt davor, dass viele Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen, und kritisiert, dass zu wenig dagegen unternommen wird.
Lehrer sollten Mut haben und Veränderungen selbst initiieren, anstatt auf Systemänderungen zu warten. Kleine Veränderungen im Umgang mit Schülern können bereits viel bewirken und deren Leben positiv beeinflussen. Philipp von Chancenwerk stellt sich vor und betont die Bedeutung von Mut und Unterstützung für Lehrkräfte und Schulleitungen angesichts großer Herausforderungen. Die Frage, wo Veränderung anfangen könnte, wird erneut aufgeworfen. Lisa hat technische Probleme, daher wird die Frage an Tristan weitergegeben. Tristan plädiert für gemeinsames Lernen und individuelle Förderung bis zur 10. Klasse, um jedem Kind gerecht zu werden. Das Notensystem und die Bewertung von Menschen anhand von Zahlen sollten hinterfragt werden, da sie oft nicht die tatsächlichen Fähigkeiten widerspiegeln. Felix, ein Community-Gast, berichtet von seinen Erfahrungen in verschiedenen Schulsystemen und Bundesländern und bemängelt die Unterschiede und Probleme beim Wechsel zwischen den Systemen. Er wünscht sich ein bundesweites System, das besser zusammenpasst, um Schülern den Übergang zu erleichtern.
Ein kurzer Film über das Schulsystem in Estland, das in der PISA-Studie besser abschneidet als Deutschland, wird gezeigt. In Estland lernen Kinder länger gemeinsam bis zur 9. Klasse, und die Lehrer haben mehr Freiheit bei der Gestaltung des Unterrichts. Handys sind im Unterricht nicht verboten. Felix berichtet von seinen Erfahrungen mit unterschiedlichen Schulsystemen und den Problemen, die beim Wechsel entstehen. Tristan ergänzt, dass es auch innerhalb Deutschlands Unterschiede gibt, z.B. beim Übergang von der Grundschule. Er findet die Nutzung von Handys im Unterricht gut, um Medienkompetenz zu fördern. Felix berichtet, dass er unter Klausuren immer unter Leistungsdruck stand. Auch in der Grundschule war es stressig, da die Noten über die weitere Schullaufbahn entschieden.
Philipp von Chancenwerk erläutert, wie seine Organisation kostenlose Prüfungsvorbereitung für Schüler anbietet, bei der ältere Schüler jüngeren helfen. Dies fördert die Selbstwirksamkeit und Motivation der Schüler. Er betont, dass das Schulsystem oft defizitorientiert ist und es wichtig ist, den Schülern zu zeigen, was sie bereits können. Felix verabschiedet sich und Lisa kann aufgrund technischer Probleme nicht zurückkehren. Eine Umfrage unter Lehrkräften zeigt, dass die größten Herausforderungen das Verhalten der Schüler, Heterogenität, Arbeitsbelastung, Personalmangel und Bildungspolitik/Bürokratie sind. Tristan erklärt, dass das Verhalten der Schüler oft mit einer Trennung zwischen der Lebenswelt der Lehrer und der Schüler zusammenhängt, da die Schule oft nicht auf die aktuellen Krisen und Probleme der Schüler eingeht. Schüler fühlen sich oft nicht ernst genommen und haben keine Zeit, in der Schule sie selbst zu sein. Eltern sehen die Schule zunehmend kritisch, was zu Konflikten führt.
Achim Bäumer, Schulleiter einer ausgezeichneten Förderschule, stellt sein Lernkonzept vor, das eigenverantwortliches Lernen ermöglicht und Unterricht im herkömmlichen Sinne vermeidet. Er betont die Bedeutung eines positiven Schulklimas, in dem sich Schüler und Lehrer wohlfühlen. Im Fokus steht das Lernen und nicht das Lehren. Er kritisiert, dass Lehrer oft in starre Strukturen gezwängt werden und nicht auf die individuellen Bedürfnisse der Schüler eingehen können. Er plädiert dafür, dass Schüler am Lernprozess mitbestimmen können. Die Schule hat Klassenräume abgeschafft und Lernateliers eingerichtet, um den unterschiedlichen Bedürfnissen der Schüler gerecht zu werden. Philipp von Chancenwerk lobt Achims Konzept, sieht aber Schwierigkeiten bei der Umsetzung in Schulen mit mangelnden Ressourcen. Er betont die Notwendigkeit gesellschaftlichen Engagements und die Einbeziehung von erfahrenen Lehrkräften im Ruhestand. Tristan betont, dass die Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, um solche Konzepte umsetzen zu können.
Die Diskussion dreht sich um die Verantwortung der Politik und den Mut, neue Wege zu gehen. Philipp verabschiedet sich, und Felix Schenk, ein Vater, kommt als Gast hinzu, um die Elternperspektive einzubringen. Achim erläutert, dass die Klassengrößen variabel sind und das Lehrerzimmer abgeschafft wurde, um mehr Lernraum zu schaffen. Tristan äußert Bedenken hinsichtlich der Abschaffung des Lehrerzimmers. Achim erklärt, dass stattdessen eine Lounge mit Barista-Maschine eingerichtet wurde. Eine Frage aus dem Chat betrifft den Umgang mit neurodiversen Schülern wie ADHS. Tristan räumt ein, dass diese Schüler oft hinten runterfallen, da es an Betreuung und Zeit mangelt. Felix bestätigt diese Erfahrung und betont, dass die Diagnostik oft ein langer und aufwendiger Weg ist.
Erfahrungen und Perspektiven: Florian, ein Erzieher in Ausbildung, teilt seine Schülerperspektive und betont die Bedeutung engagierter Lehrkräfte, die ihm trotz seines "Problemkind"-Status zum Schulabschluss verhalfen. Er kritisiert, dass Kinder, die nicht ins System passen, oft fallen gelassen werden und fordert mehr geschultes Personal, das individuell auf Schüler eingeht. Felix, ein Vater, äußert seine Ängste, dass seine Kinder keinen Lehrer finden könnten, der ihre Probleme erkennt. Er lobt Schulen, die ein positives Lernumfeld schaffen und Eltern aktiv einbeziehen. Ein Zuschauer kritisiert den Lehrkräftemangel und den Fokus auf Frontalunterricht, was Achims Ansatz des spielerischen Lernens hervorhebt. Florian hätte sich eine andere Schulform gewünscht, da er im herkömmlichen Unterricht oft impulsiv war.
Diskutiert wird die fehlende Selbstständigkeit im traditionellen Unterricht, der oft auf dem Abarbeiten von Lehrbüchern und dem Abschreiben von Tafelbildern basiert. Felix bemängelt, dass sich seit seiner eigenen Schulzeit wenig geändert hat und lobt die Waldorfschule seiner Kinder für ihren Fokus auf Bewegung und individuelle Freiräume. Im Chat wird die Frage aufgeworfen, ob Schulgebäude überhaupt notwendig sind. Schüler kritisieren, dass sie wenig Sinnvolles in der Schule lernen und dass der Stoff oft nicht auf das Leben vorbereitet. Globale Krisen werden im Unterricht kaum thematisiert. Julian berichtet von seinen Erfahrungen mit dem Online-Unterricht während der Corona-Pandemie, der oft durch mangelnde Medienkompetenz der Lehrer beeinträchtigt wurde.
Achim erklärt, wie seine Schule Krisen wie Corona durch den bereits etablierten digitalen Kontakt gut auffangen konnte. Schüler können Themen einbringen, die sie interessieren, und fächerübergreifend an Projekten arbeiten. Felix schätzt, dass die Waldorfschule seiner Kinder auf ihre Interessen eingeht und ihre Kreativität fördert. Ein Beispiel ist der Sohn, der Formenzeichnen mit beiden Händen gleichzeitig ausprobieren durfte. Sascha, der seinen Hauptschulabschluss auf einer Förderschule gemacht hat, hätte von Achims Schulmodell profitiert, da er in vielen Bereichen des Bildungssystems durchs Raster gefallen ist. Noten waren für ihn immer belastend, da er mit anderen verglichen wurde und seine Leistungen nicht gesehen wurden.
Sascha betont, dass das Schulsystem oft nicht zu den Schülern passt. Achim erklärt, dass seine Schule sowohl Ziffernoten als auch beschreibende Zeugnisse verwendet, um den individuellen Fortschritt der Schüler zu würdigen und Perspektiven aufzuzeigen. Er spricht von "Phasen" statt Klassen, um den unterschiedlichen Lernbedürfnissen gerecht zu werden. Felix berichtet, dass die Waldorfschule bis zur 10. Klasse beschreibende Zeugnisse verwendet, die die Kinder wertschätzen und ihre individuellen Stärken hervorheben. Sascha wünscht sich mehr Inklusion und ein Miteinander anstatt des Hängenlassens. Felix fordert mehr Investitionen in Bildung, Schulsozialarbeiter und Lernoasen, in denen Schüler sich gegenseitig unterstützen können. Achim wünscht sich Schulen, die sich den Schülern anpassen und ihnen die Möglichkeit geben, mitzubestimmen, was sie lernen. Er betont die Bedeutung der "4Ks": Kreativität, Kommunikation, kritisches Denken und Kollaboration.