Einführung in das Drogenproblem und die Haftbefehl-Doku
00:10:13Der Stream beginnt mit einer Begrüßung und der Frage an den Chat, wer die Haftbefehl-Doku auf Netflix gesehen hat. Die Doku wird als eindringliches Beispiel dafür genannt, wie Drogen, insbesondere Kokain, einen Menschen und sein Umfeld schädigen können. Das Thema des Streams lautet: „Koksen wie Hafti: Ist Deutschlands Drogenproblem außer Kontrolle?“ Die Zuschauer werden aufgefordert, ihre Fragen und Gedanken im Chat zu teilen. Tamara Lüttke, drogenpolitische Sprecherin der SPD Berlin, plädiert für eine progressive Drogenpolitik, da die restriktive Verbotspolitik bisher keine Änderungen gebracht habe. Cornelius Golombiewski, Arzt und Mitglied im Bundesvorstand der Jungen Union, sieht das Thema differenzierter. Eine Szene aus der Haftbefehl-Doku, in der der Rapper über seinen fast tödlichen Entzug spricht, wird gezeigt, um die Ernsthaftigkeit des Themas zu unterstreichen. Es wird darauf hingewiesen, dass Hilfe für Betroffene über das Community Management und eine Extension verfügbar ist. Kokain, obwohl als teuer wahrgenommen, ist eine weit verbreitete Droge, besonders unter jüngeren Menschen. Eine Grafik zeigt einen starken Anstieg des Kokainkonsums bei den 15- bis 34-Jährigen von 1,2 Prozent im Jahr 2015 auf 3,1 Prozent im Jahr 2021. Tamara Lüttke vermutet, dass ein gesunkener Kokainpreis und gestiegene Preise für andere Genussmittel diesen Anstieg begünstigen könnten. Cornelius Golombiewski ergänzt, dass Deutschland als Drogen-Umschlagplatz relevanter wird, der Preis sinkt und das Angebot an Drogen generell zunimmt. Die Covid-Pandemie habe zudem zu einer Normalisierung des Konsums im kleineren Kreis geführt. Er weist darauf hin, dass fast jeder Zweite der 19- bis 30-Jährigen bereits eine illegale Substanz konsumiert hat, und die Dunkelziffer beim Kokainkonsum wahrscheinlich noch höher ist. Eine kurze Diskussion über Rauschmitteldelikte und die Teillegalisierung von Cannabis wird abgewürgt, um den Fokus auf harte Drogen zu legen.
Persönliche Geschichte und Erfahrungen mit Drogensucht
00:18:37Andreas Eilsberger, ein ehemaliger Drogenkonsument, wird spontan in den Stream zugeschaltet, um seine persönliche Geschichte zu teilen. Er wird später auch aus der Perspektive seiner Präventionsarbeit sprechen. Andreas berichtet, dass er mit 13 Jahren erste Erfahrungen mit Alkohol machte und eine Affinität zum Rausch entwickelte, um Ängste zu überwinden. Mit 16 begann er täglich Cannabis zu konsumieren und funktionierte dabei noch gut in der Schule. Mit 18 Jahren, im Jahr 1980, begann er Heroin zu spritzen, was er als logische Folge seiner Neugier und eines damaligen Lebensstils beschreibt. Er erklärt, dass viele junge Menschen in dieser Zeit keinen Platz in der Gesellschaft fanden und Drogen als Mittel zur Emotionsregulation und Frustbewältigung dienten. Das erste Mal Heroin habe sich unglaublich gut angefühlt. Die Drogensucht eskalierte, als er Kokain spritzte und mit Heroin kombinierte, was ein intensives Craving auslöste. Er beschreibt, wie Heroin und andere Drogen hauptsächlich dazu dienten, ihn von diesem Kokain-Trieb wieder herunterzuholen. Der intravenöse Kokainkonsum und später das Rauchen von Crack waren sehr intensive Phasen. Den problematischen Konsum erkannte er, als er begann, Kokain zu spritzen und ein extremes Suchtverlangen verspürte. Nach dem Abitur infizierte er sich mit Hepatitis und entging nur knapp einer HIV-Infektion, die viele seiner Freunde in Haft betraf. 1990 machte er eine 14-monatige stationäre Therapie in Berlin, um einer Haftstrafe zu entgehen und Verantwortung für seinen Sohn zu übernehmen. Nach der Therapie lebte er lange abstinent und studierte soziale Arbeit. Er sieht Drogensucht nicht als reine Selbstverschuldung, sondern als Folge von Informationsmangel, seelischer Not, Einsamkeit, emotionaler Überforderung und Perspektivlosigkeit. Drogen halfen ihm, Ängste und Depressionen zu bewältigen, über die damals nicht gesprochen wurde. Viele seiner Freunde hatten ähnliche Motive und waren beziehungslos und emotional verwahrlost. Der Drogenkonsum führte zu massiven finanziellen Problemen, Kleinkriminalität, Ladendiebstahl, Schulden und Betrug, sogar innerhalb der Familie. Er betont, dass dies im Nachgang sehr beschämend war und bis heute zu Vertrauensverlusten geführt hat.
Drogenpolitik und Selbstbestimmter Konsum
00:29:08Andreas Eilsberger äußert sich zur Drogenpolitik und wünscht sich mehr Konsequenz, insbesondere bei der Teillegalisierung von Cannabis, die sauberer hätte gelöst werden können. Er kritisiert traditionelle Vorbehalte gegen Drogen, die neuer sind als Alkohol, und die Stigmatisierung von Cannabiskonsum, obwohl er problematischen Konsum nicht leugnet. Er plädiert für eine stärkere Präventionsarbeit, die bereits bei jüngeren Kindern ansetzt, um Resilienz zu fördern und zu verhindern, dass Konsum zu Missbrauch führt. Als er süchtig war, hätte er sich mehr Toleranz gewünscht, insbesondere im Umgang mit Besitz und dem Verkauf von Spritzen in Apotheken. Er betont, dass es weniger um die Drogen selbst geht, sondern darum, wie Menschen akzeptiert und unterstützt werden und nicht allein gelassen werden. Andreas bestätigt, dass Popkultur und Musik seine Neugier auf Drogen geweckt haben, da viele Künstler Drogen konsumierten. Er sieht dies als Ausdruck einer Abgrenzung zu gesellschaftlichen Normen. Er ist der Meinung, dass Drogenkonsum nicht automatisch zur Katastrophe führt und dass es so etwas wie selbstbestimmten Konsum gibt, wenn man Risiken besser einschätzen kann. Tamara Lüttke stimmt zu, dass selbstbestimmter Konsum möglich ist, je mehr Wissen man über die eigene Emotionalität, das Set und Setting des Konsums und die dahinterliegenden Motive hat. Cornelius Golombiewski sieht eine zunehmende Normalisierung und Abkultung von Drogen in Songtexten und Meme-Pages, was als Triggerpunkt für Konsumenten wirken kann. Er zieht Parallelen zur Verbannung von Zigaretten aus Hollywoodfilmen und fordert mehr "Self-Awareness" in der Kunst. Tamara Lüttke sieht in einem aufgeklärten Umgang mit Drogen auch die Chance zur Entstigmatisierung, warnt aber vor einer Romantisierung. Eine Zuschauerfrage nach Haftstrafen von über 15 Jahren für Drogendelikte, insbesondere für Dealer, wird diskutiert. Cornelius Golombiewski betont, dass Konsumenten Hilfe und keine Haftstrafen benötigen, da Sucht eine Krankheit ist. Er differenziert jedoch zwischen Konsumenten und organisierter Kriminalität, die hinter dem Drogenhandel steht und Gewalt und Verbrechen finanziert. Tamara Lüttke schließt sich dem an und betont die Wichtigkeit eines guten Entlassungsmanagements nach Haftstrafen, um Rückfälle zu vermeiden. Sie plädiert dafür, polizeiliche Ressourcen eher auf die organisierte Kriminalität als auf kleine Dealer zu konzentrieren.
Der Drogenmarkt aus Sicht der Kriminalpolizei
00:43:15Dirk Peglow, Bundesvorsitzender des Bundes der Kriminalbeamten, gibt Einblicke in die Praxis der Drogenfahndung und die Entwicklung des Kokainmarktes. Er berichtet, dass der Markt von Jahr zu Jahr steigt und selbst tonnenweise sichergestelltes Kokain keine Auswirkungen auf Preisgestaltung oder Verfügbarkeit hat. Im letzten Jahr wurden laut BKA-Rauschgiftlagebild 24 Tonnen Kokain sichergestellt, eine Menge, die früher undenkbar gewesen wäre (1997 waren es 15 Kilo ein Riesenerfolg). Kokain sei in allen Gesellschaftsschichten, Gruppen und Altersklassen angekommen. Die 24 Tonnen Kokain werden nach Untersuchung vernichtet. Die Kartelle und kriminellen Gruppierungen, die an Produktion und Export beteiligt sind, nutzen gut erprobte Lieferwege und Netzwerke, bis hin zu bestochenen Hafenmitarbeitern. Peglow stellt fest, dass die Maßnahmen in Deutschland dazu führen, dass nordeuropäische Häfen in den Hintergrund treten und der Kokainimport vermehrt über Südeuropa erfolgt. Er warnt vor der Entwicklung in den Niederlanden, wo Berufsgruppen wie Journalisten, Rechtsanwälte und Justizmitarbeiter massiv unter Druck geraten und sogar ermordet werden. Diese Einflussnahme und das Gewaltpotenzial der kriminellen Netzwerke seien demokratiegefährdend. Er fordert dringend mehr technische Möglichkeiten und rechtliche Befugnisse für die Strafverfolgungsbehörden, um mit den international vernetzten und finanzstarken kriminellen Netzwerken Schritt halten zu können. Insbesondere kritisiert er das Fehlen von Möglichkeiten zur Entschlüsselung kryptierter Kommunikation wie Sky ECC und EncroChat in Deutschland sowie die mangelnde Vorratsdatenspeicherung und die unzureichende Bekämpfung der Geldwäsche. Deutschland sei nach wie vor ein "Seelenheil für die Geldwäsche-Fraktion", da es hier relativ einfach sei, Geld aus illegalen Einkünften zu waschen. Tamara Lüttke äußert sich vorsichtig zur Vorratsdatenspeicherung, versteht aber den Bedarf der Polizei und fordert eine gesetzliche und finanzielle Sicherstellung, ohne Sicherheitseinschränkungen auf anderer Seite. Sie betont die Wichtigkeit des Geldwäscheansatzes und die stärkere Einziehung von Vermögen und Immobilien im Bereich der organisierten Kriminalität, was in Berlin bereits vorangetrieben werde.
Kampf gegen organisierte Kriminalität und Geldwäsche
00:51:41Die Diskussionsteilnehmer erörtern die unzureichende Vorbereitung Deutschlands auf die wachsende organisierte Kriminalität, insbesondere im Vergleich zu Ländern wie den Niederlanden. Es wird betont, dass Strafverfolgungsbehörden auf allen Ebenen mehr Befugnisse und Unterstützung benötigen. Ein wichtiger Schritt ist die geplante Verschärfung des Geldwäschegesetzes, um Bargeldmengen stärker zu begrenzen. Zudem wird die technische Ausstattung der Häfen kritisiert, da beispielsweise der Hamburger Hafen bei der Containerkontrolle weit hinter Antwerpen und Rotterdam zurückliegt. Es besteht dringender Nachrüstbedarf in der physischen Technik, um effektiver gegen den Drogenschmuggel vorgehen zu können. Die Beweislastumkehr bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität wird als notwendig erachtet, wobei der Begriff der Darlegungs- und Obliegenheitspflicht bevorzugt wird, um verfassungsrechtliche Bedenken zu vermeiden. Dies würde es den Behörden ermöglichen, von Personen mit unerklärlichem Vermögen eine Herkunftserklärung zu fordern.
Überlastung der Justiz und Forderung nach Spezialdienststellen
00:54:05Die Staatsanwaltschaften in Deutschland sind aufgrund der Komplexität von Geldwäschetatbeständen und der hohen Fallzahlen extrem ausgelastet. Dies führt dazu, dass die Verfolgung von Geldwäsche oft in den Hintergrund rückt, wenn größere Mengen an Drogen sichergestellt werden. Der Deutsche Richterbund fordert daher zu Recht einen 'Pakt für den Rechtsstaat', um die Justiz personell und finanziell zu stärken. Es wird die Notwendigkeit von Spezialdienststellen sowohl bei der Justiz als auch bei der Polizei betont, um hochdynamische Verfahren im Bereich der organisierten Kriminalität effektiv bearbeiten zu können. Die Zusammenarbeit zwischen Justiz und Polizei ist hierbei von entscheidender Bedeutung. Trotz wiederholter Priorisierung der OK-Bekämpfung in Koalitionsverträgen wird kritisiert, dass bisher wenig konkrete Maßnahmen umgesetzt wurden.
Debatte über Drogenentkriminalisierung und Prävention
00:55:42Die Frage nach einer Teilentkriminalisierung von Kokain wird aufgeworfen, wobei Parallelen zur Cannabis-Debatte gezogen werden. Das portugiesische Modell, das Konsumierende in den Mittelpunkt staatlicher Betrachtung rückt und gute Erfahrungen gemacht hat, wird als Referenz genannt. Besonders in Städten wie Frankfurt, wo eine ausgeprägte Crack-Szene existiert, ist der Umgang mit suchtkranken Menschen eine große Herausforderung. Es wird betont, dass die Diskussion über eine Legalisierung von Kokain zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht ist, da zunächst die Folgen der Cannabis-Entkriminalisierung und die Präventionsmaßnahmen evaluiert werden müssen. Es besteht erheblicher Nachholbedarf bei Hilfsangeboten für Jugendliche und Kinder, da die Polizei als letztes Mittel der Repression agiert und frühzeitige Prävention entscheidend ist. Die fehlende verpflichtende Drogenberatung nach der Cannabis-Legalisierung wird als Rückschritt kritisiert, da der Kontakt zu jungen Konsumenten verloren geht.
Internationale Zusammenarbeit und Herausforderungen in Herstellerländern
00:58:04Die Kontrolle von Unternehmen und Bürokratie in drogenproduzierenden Ländern wird als potenzieller Ansatzpunkt zur Drogenbekämpfung diskutiert. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass Bauern in Südamerika, die unter ärmsten Verhältnissen leben, aufgrund der deutlich höheren Gewinnmöglichkeiten beim Kokaanbau und des Angstfaktors durch kriminelle Netzwerke kaum auf alternative Anbaumethoden umsteigen. Staatliche Gegenmaßnahmen in diesen Ländern sind bisher nicht zielführend. Die deutsche Seite setzt auf internationale Kooperationen, insbesondere mit südamerikanischen Ländern, um Schiffe zu verfolgen und mit Hafenbehörden zusammenzuarbeiten. Die Erweiterung des Netzes von Verbindungsbeamtinnen und -beamten des Bundeskriminalamts in Südamerika wird als entscheidend für die Bekämpfung der organisierten Rauschgiftkriminalität erachtet, um vor Ort Ermittlungsverfahren und Erkenntnisse zu sammeln.
Berlins progressive Drogenpolitik und die Clubkultur
01:06:28Berlin wird als Party- und Drogenhauptstadt mit einer progressiven Drogenpolitik beschrieben, wobei die Clubszene einen großen Wirtschafts- und Kulturfaktor darstellt. Die Clubkultur wurde sogar als UNESCO-Weltkulturerbe ausgezeichnet. Es wird betont, dass die Stadt eine lange Historie der Verbindung von Rausch, Ekstase und Kreativität hat. Ziel der Politik ist es, diese Freiheit zu erhalten und gleichzeitig Aufklärung über den achtsamen Umgang mit Drogen sowie Unterstützung bei Suchterkrankungen zu bieten. Es wird kritisiert, dass Suchterkrankungen oft nicht nur im Partyumfeld entstehen, sondern aus tieferliegenden Traumata resultieren. Eine progressive Drogenpolitik wird als Abkehr von der Prohibition verstanden, die anerkennt, dass Menschen konsumieren. Es wird jedoch betont, dass der Staat den Konsum nicht normalisieren sollte, sondern in der Primärprävention eine klare Haltung gegen Drogenkonsum einnehmen muss, während in der Sekundärprävention Hilfsangebote und Schadensreduktion im Vordergrund stehen.
Drogenkonsum in der Clubszene und Präventionsansätze
01:12:06Die Annahme, dass die Clubszene finanziell von langem Drogenkonsum profitiert, wird widerlegt. Clubs verdienen eher an Eintrittsgeldern und Getränkeverkauf. Es wird jedoch angemerkt, dass die Szene selbst durch lange Partyzeiten und durchlaufende Musik den exzessiven Konsum begünstigt. Es wird der Wunsch nach mehr Eigenverantwortung der Szene geäußert, um den Exzess nicht zu stark zu begleiten. Trotz des liberalen Images hat Berlin die höchste drogenbedingte Sterblichkeitsrate pro Kopf in Deutschland. Dies wird jedoch nicht direkt der Club- und Partykultur zugeschrieben, sondern vielmehr dem mangelhaften Hilfenetzwerk, insbesondere im psychiatrischen Bereich. Berlin hat verschiedene Programme und Instrumente zur Prävention eingeführt, darunter Drug-Checking zur Verhinderung von Überdosen und zur frühzeitigen Intervention bei auffälligem Konsum. Zudem gibt es das Projekt Sonar, das niedrigschwellige Drogenberatung auf Partys anbietet, und ein Projekt zur Unterstützung der mentalen Gesundheit in der Nachtökonomie, an dem auch Krankenkassen beteiligt sind.
Drogentote und die nationale Drogen- und Suchtpolitik
01:19:29Die Grafik zeigt, dass es im Jahr 2024 in Deutschland 2137 Drogentote gab, ein leichter Rückgang zum Vorjahr, aber der zweithöchste jemals gemessene Wert. Besonders besorgniserregend ist der Anstieg der drogenbedingten Todesfälle unter 30 Jahren. Die nationale Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik aus dem Jahr 2012, die auf den vier Säulen Prävention, Beratung und Behandlung, Schadensreduzierung sowie Strafverfolgung basiert, wird kritisch hinterfragt. Es wird die Notwendigkeit eines Updates der Strategie betont, da sie über zehn Jahre alt ist und die aktuellen Entwicklungen, wie der digitale Drogenhandel und neue Süchte, nicht ausreichend berücksichtigt. Obwohl die vier Säulen an sich als gutes Modell angesehen werden, besteht Handlungsbedarf bei der Ausstattung (personell, finanziell) und den konkreten Konzepten. Insbesondere die Schnittstellen zwischen den Säulen müssen besser vernetzt und neue Süchte integriert werden.
Historische Handelsinteressen und die Entstehung der Drogenpolitik
01:24:41Die historische Entstehung der Drogenpolitik wird kritisch beleuchtet, wobei argumentiert wird, dass diese oft mehr von Handelsinteressen als von Konsumentenschutz geprägt war. Als klassisches Beispiel werden die Opiumkriege genannt, bei denen Großbritannien aufgrund von Handelsinteressen Opium in China aufzwang. Diese historischen Ereignisse beeinflussten die internationale Drogengesetzgebung und führten zur ersten internationalen Betäubungsmittelkonferenz, bei der die USA eine restriktive Gesetzgebung vorantrieben. Viele europäische Länder, die ebenfalls mit Opium Geld verdienten, gaben schließlich nach. Dieses prohibitive Ethos, das Verzicht als beste Prävention propagiert, prägt bis heute die Drogenpolitik. Es wird die Skepsis geäußert, ob Menschen die langfristigen Folgen des Drogenkonsums richtig einschätzen können, da sie bereits Schwierigkeiten haben, gesunde Lebensweisen zu integrieren. Der Staat sollte den Konsum nicht ermutigen; die Cannabis-Legalisierung mit 40-50 Gramm wird als verharmlosendes Signal kritisiert, im Vergleich zu 25 Gramm in Portugal. Jedes Signal hat eine Wirkung, und es wird auf die gut erforschte Wirkung von Tabaksteuererhöhungen als konsumentenreduzierende Maßnahme verwiesen.
Diskussion über Drogenpolitik und Legalisierung
01:28:39Die Diskussion konzentriert sich auf die Auswirkungen von Signalen in der Drogenpolitik. Es wird argumentiert, dass jedes Signal bedacht gewählt und gut eingesetzt werden muss, um die Konsumentenzahlen zu beeinflussen. Beispiele wie Werbeverbote und die Entfernung von Quengelkassen im Zigarettenkonsum werden genannt, um zu zeigen, wie solche Maßnahmen den Konsum reduzieren können. Ein zentraler Punkt ist die Bedeutung einer aufgeklärten Person, die frei und wissend entscheiden kann, insbesondere in einer digitalen Welt, in der der Zugang zu Informationen kaum reguliert werden kann. Die Frage nach der Legalisierung, insbesondere des portugiesischen Modells, wird aufgeworfen, wobei die Notwendigkeit eines klugen Plans und die Einbeziehung der Behörden betont wird. Es wird kritisiert, dass bei der Cannabis-Legalisierung die Prävention vernachlässigt wurde, aber dies als Erfahrung für zukünftige Verbesserungen dienen kann. Die Debatte dreht sich auch um die Unterscheidung zwischen Entkriminalisierung und Legalisierung, wobei ersteres als Schutz für Konsumenten vor biografischen Brüchen und Stigmatisierung angesehen wird, während letzteres ein positives Signal senden könnte, das den Krankheitswert der Sucht verharmlost. Die Semantik der Begriffe wird als wichtig erachtet, da sie die gesellschaftliche Wahrnehmung und die politische Umsetzung beeinflusst.
Entkriminalisierung und Zugang zu Substanzen
01:31:32Es wird die Notwendigkeit einer Teillegalisierung und einer geregelten Produktion im eigenen Land diskutiert, um den Schwarzmarkt zu umgehen. Am Beispiel von Cannabis wird erläutert, dass der Zugang zu Substanzen, etwa durch den Eigenanbau von Pflanzen, geschaffen werden muss, wenn der Konsum entkriminalisiert wird. Dies soll verhindern, dass Konsumenten weiterhin auf den Schwarzmarkt angewiesen sind. Die Realität, dass ein gewisser Konsum immer bestehen wird, erfordert Überlegungen, woher die Menschen die Substanzen beziehen. Bei härteren Drogen könnte überlegt werden, ob Apotheken unter bestimmten Bedingungen Stoffe abgeben könnten. Andreas Eilsberger von Balance, der in der Prävention arbeitet, berichtet von seiner 25-jährigen Erfahrung mit Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz. Er arbeitet mit Menschen, die vom Gericht zur Beratung verpflichtet werden, und betont den Ansatz der Erziehung vor Strafe. Seine Organisation arbeitet zieloffen und akzeptierend, um junge Menschen zu motivieren, über ihren Konsum zu reflektieren. Es wird hervorgehoben, dass die Veränderung von innen kommen muss und dass der Ansatz darin besteht, drogenerfahrene Menschen ins Gespräch zu bringen, um bessere Entscheidungen zu ermöglichen. Eilsberger stellt fest, dass es oft kein Informationsproblem gibt, da junge Menschen gut über Drogen informiert sind, sondern es darum geht, den Umgang mit dem Konsum zu lernen. Er kritisiert die Trennung von Jugend- und Suchthilfe, die zu Finanzierungsproblemen führt und die Umsetzung wichtiger Angebote behindert.
Herausforderungen in der Drogenprävention und -hilfe
01:35:45Andreas Eilsberger betont, dass der Satz „Der beste Schutz vor Drogen ist, keine zu nehmen“ zwar nicht falsch ist, aber für viele Menschen keine realistische Wahl darstellt. Er argumentiert, dass Drogenkonsum zum Alltag gehört und die Unterscheidung zwischen alten und neuen Drogen für junge Menschen oft irrelevant ist. Wichtig sei, junge Menschen nicht allein zu lassen, sondern Ansprechpartner im privaten Umfeld oder in Beratungseinrichtungen anzubieten. Eilsberger kritisiert die großen Probleme in der Politik, insbesondere die fehlende Zusammenarbeit zwischen Jugend- und Suchthilfe, die dazu führt, dass wichtige Angebote wie seine Trainings nicht finanziert werden. Er fordert die Gelegenheit, seine Maßnahmen den Jugendämtern zu erklären und Unterstützung bei der Evaluation seiner Arbeit zu erhalten, um die Wirksamkeit zu dokumentieren und die Digitalisierung der Arbeitsmaterialien voranzutreiben. Tamara Lüttke (SPD) zeigt Verständnis für das Behördenpingpong in Berlin und bietet ihre Unterstützung an, um Gespräche mit den zuständigen Senatsverwaltungen zu führen und die Evaluation voranzutreiben. Sie schlägt vor, im eigenen Bezirk einen Draht zum Jugendamt zu finden, um die Zusammenarbeit zu verbessern.
Drug-Checking in Berlin und seine Vorteile
01:40:28Augustine Reppe, Fachbereichsleiterin bei Vista und Teil des Berliner Drug-Checking-Projekts, erklärt die Funktionsweise des Angebots. Seit Juni 2023 können Konsumenten an drei Standorten anonym und kostenlos Substanzen zur Analyse abgeben. Die Proben werden in einem Labor untersucht, und die Ergebnisse werden den Nutzern wenige Tage später in einem Beratungsgespräch mitgeteilt. Das Angebot wird sehr gut angenommen, mit über 4000 analysierten Proben seit dem Start, wobei die Auslastung so hoch ist, dass Menschen abgewiesen werden müssen. Die Zusammenarbeit mit der Polizei ist kooperativ, ähnlich wie bei Drogenkonsumräumen, um die Nutzer nicht abzuschrecken. Im Intake-Gespräch wird nicht nur nach der abgegebenen Substanz gefragt, sondern auch der gesamte Konsum, einschließlich Alkohol, thematisiert, was das Angebot zu einer wichtigen Suchtberatungsstelle macht. Über 80 Prozent der Nutzer hatten zuvor keinen Kontakt zur Drogen- und Suchthilfe, was die Bedeutung des Projekts für die Frühintervention unterstreicht. Rund 50 Prozent der untersuchten Drogen sind auffällig (verunreinigt, falsch deklariert oder hochdosiert), was die Notwendigkeit von Warnungen unterstreicht. Cornelius erkennt an, dass die Vorteile des Drug-Checking die Nachteile überwiegen, da es der Suchthilfe ermöglicht, frühzeitig Kontakt zu Konsumenten aufzunehmen und Hemmungen abzubauen. Zudem hilft es, neue und hochdosierte Drogen auf dem Markt zu identifizieren und auf potenzielle Gefahren wie die Fentanyl-Krise zu reagieren.
Umgang mit problematischem Konsum und Prävention
01:46:12Augustine Reppe erläutert, dass problematischer Konsum oft von den Betroffenen selbst erkannt wird, wenn er Berufs- oder Sozialleben beeinträchtigt, zu Problemen im Job oder in Beziehungen führt oder Kontrollverluste erlebt werden. Andreas Eilsberger erklärt, dass junge Menschen Drogen hauptsächlich zur Emotionsregulation, zur Abwendung unangenehmer Erlebnisse oder aus Abenteuerlust konsumieren. Er sieht den Umgang mit Drogen als Entwicklungsaufgabe, bei der junge Menschen begleitet und unterstützt werden sollten, um keinen Schaden zu nehmen. Cornelius widerspricht der Normalisierung des Drogenkonsums und betont die Wichtigkeit, sich auf die Gehirnentwicklung bis zum Alter von 25 Jahren zu konzentrieren. Er schlägt vor, das Mindestalter für Cannabis auf 25 Jahre anzuheben, da das Gehirn in dieser vulnerablen Phase besonders anfällig für Schäden durch Substanzen ist. Er verweist auf Studien, die zeigen, dass Personen, die vor dem 25. Lebensjahr mit dem Rauchen beginnen, viel größere Schwierigkeiten haben, von Nikotin wegzukommen. Augustine wünscht sich mehr finanzielle Mittel für das Drug-Checking-Projekt, um es auszubauen und mobiler zu gestalten, um die Zielgruppen besser zu erreichen. Sie kritisiert die Versäulung der Drogen- und Suchthilfe, die oft zwischen Repression und Prävention unterscheidet, aber die Realität der Menschen nicht abbildet. Sie fordert eine engere Verzahnung aller Säulen, da Konsumenten nicht nur eine Art von Unterstützung benötigen. Sie hebt hervor, dass Drug-Checking Hinweise zur Schadensreduzierung gibt, präventiv wirkt und Hilfe zum Ausstieg anbietet. Sie betont, dass die Suchtberatung offene Sprechstunden anbietet, in denen Menschen schnell Hilfe erhalten können, und dass auch Freunde und Angehörige Unterstützung finden.
Drogenlabor in Brandenburg und Designer-Drogen
01:51:57Ein aktueller Fall aus Brandenburg, bei dem ein Drogenlabor mit 400 Kilogramm synthetischer Drogen im Wert von fast 5 Millionen Euro entdeckt wurde, wird thematisiert. Das Zollfahndungsamt Berlin-Brandenburg veröffentlichte Fotos und Videos aus dem Inneren der Halle in Nauen, die eher einer siffigen Großküche als einem Labor glich. Ermittler fanden dort gewachsene Kristalle und tonnenweise Chemikalien zur Drogenherstellung. Drei Beamte wurden bei den Räumungsarbeiten leicht durch Verätzung verletzt. Berlin, als Partyhauptstadt, war vermutlich der Markt für die dort hergestellten Rauschmittel. Augustine Reppe ordnet ein, dass es sich um synthetische Cathinone handelte, genauer gesagt 3-CMC und 4-CMC. Dies sind Derivate, die zwar häufig zur Analyse eingereicht werden, aber nicht in dieser spezifischen Form. Sie erklärt, dass Designer-Drogen durch ständige geringfügige Änderungen der Molekülstruktur entstehen, um der Illegalität zu entgehen. Über diese neuen Derivate, die kürzer wirken und ein Wirkspektrum zwischen Kokain und MDMA haben können, ist wenig bekannt, insbesondere hinsichtlich Langzeitbeobachtungen und Risiken. Dies ist ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Illegalität. Augustine betont, dass Suchtberatungsstellen offene Sprechstunden anbieten, um schnelle Hilfe zu ermöglichen, und dass auch Freunde und Angehörige Unterstützung finden können.
Portugiesisches Modell der Drogenpolitik als Vorbild
01:57:11Sebastian Kistas aus Madrid berichtet über das portugiesische Drogenmodell. Ende der 1990er Jahre hatte Portugal ein massives Drogenproblem, mit schätzungsweise jedem hundertsten Portugiesen heroinabhängig, bedingt durch die Rückkehr von Soldaten aus Kolonialkriegen. Die Politik entschied sich für eine Entkriminalisierung statt einer Legalisierung. Menschen, die Drogen zum Selbstkonsum (bis zu einem Schwellenwert für zehn Tage) bei sich führten, wurden nicht mehr strafrechtlich verfolgt, sondern zu Beratungsgesprächen eingeladen, an denen Juristen, Sozialarbeiter und Mediziner teilnahmen. Kritiker befürchteten einen Anstieg der Konsumentenzahlen, doch diese stiegen nur leicht. Die großen Erfolge des Modells waren der Rückgang der Todesfälle durch Überdosen und der HIV-Infektionen. Viele Menschen suchten Hilfe, da sie sich nicht mehr als Kriminelle fühlten. Auch 25 Jahre später wird das Modell gut angenommen, wobei aktuell die meisten Beratungen den Cannabiskonsum betreffen. Ein Notfallmediziner mit Erfahrung in Deutschland und Portugal bestätigt, dass er in Portugal seit Jahren keine lebensbedrohlichen Drogeneinfuhren mehr gesehen hat. Cornelius sieht das portugiesische Modell als potenziellen Weg für Deutschland, betont jedoch die Notwendigkeit einer schrittweisen Umsetzung in Zusammenarbeit mit allen Institutionen, um das Chaos der Cannabis-Legalisierung zu vermeiden. Er unterstreicht, dass Suchterkrankungen als Krankheit und nicht als Verbrechen behandelt werden sollten. Tamara Lüttke stimmt zu, dass Gesundheitspolitiker oft offener für diesen Ansatz sind als Innenpolitiker, die Schwierigkeiten sehen, organisierte Kriminalität zu verfolgen, wenn Strafverfolgungsmaßnahmen eingeschränkt werden. Sebastian Kistas ergänzt, dass in Portugal das Thema Drogen kein politisches Schlachtfeld mehr ist, da alle größeren Parteien das Modell als erfolgreich ansehen.
Ausblick und Fazit zur Drogenpolitik in Deutschland
02:03:47Die Diskussion endet mit einem Ausblick auf die Drogenpolitik in Deutschland. Obwohl eine Entkriminalisierung in Deutschland noch in weiter Ferne scheint, wird betont, dass Staatsanwälte und Richter bereits oft Therapie vor Strafe bevorzugen. Dies sei jedoch nicht in allen Bundesländern, wie Bayern, gewährleistet. Dennoch herrsche in der Justiz mehrheitlich die Erkenntnis, dass Bestrafung allein nicht zielführend ist. Tamara Lüttke und Cornelius Stegg berichten von ihren Bemühungen, die Drogenpolitik voranzutreiben. Tamara erwähnt die Unterstützung einer Gesetzesnovelle zu Lachgas im Bundesrat und die Einigkeit in der CDU-Fraktion bezüglich des Drug-Checking-Projekts. Sie ist optimistisch, dass die Öffnungszeiten erweitert und mobile Drug-Checking-Angebote etabliert werden können. Berlin soll hier eine Vorreiterrolle einnehmen, orientiert am portugiesischen Modell und den Erfahrungen Zürichs im Umgang mit Crack und Kokain. Ziel ist es, dass der Bund diesem Vorbild folgt. Cornelius betont die Besorgnis über die steigenden Zahlen des Drogenkonsums, einschließlich der Rolle rückwärts beim Tabakkonsum durch Vapes. Er sieht die Notwendigkeit, den Konsum insgesamt zu senken und freut sich über die gefundenen Überschneidungspunkte für eine gemeinsame Arbeit. Er wünscht sich, dass mehr über Therapie und Ausstieg gesprochen wird und dass der kontrollierte Konsum nicht romantisiert wird. Er glaubt, dass viele Menschen lange in einer „Honeymoon-Phase“ leben und die negativen Auswirkungen ihres Konsums nicht erkennen. Frühkontakte zur Suchthilfe und eine kritische Reflexion des eigenen Verhaltens sind hier entscheidend. Tamara Lüttke schließt mit der Einschätzung, dass Deutschlands Drogenproblem nicht außer Kontrolle ist, sondern in den letzten Jahren viele Verbesserungen erreicht wurden, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Sie ist motiviert, konsequent weiter daran zu arbeiten. Abschließend werden digitale Beratungsangebote wie kokainfo.de genannt und auf den nächsten Mixtalk zum Thema Coworking verwiesen.