Politik & wir ! Jung und einsam: Checkt die Politik wie's uns geht?
Einsamkeit junger Menschen: Politik und persönliche Erfahrungen im Fokus
Experten und Betroffene diskutieren die Definition und persönlichen Erfahrungen mit Einsamkeit bei jungen Menschen. Es wird der Einfluss von Wohnort, gesellschaftlicher Wahrnehmung und sozioökonomischen Faktoren auf das Gefühl der Isolation beleuchtet. Die politische Verantwortung und fehlende Umsetzung von Strategien zur Bekämpfung von Einsamkeit stehen dabei im Mittelpunkt, mit Forderungen nach schnellerem Handeln und zielgruppengerechter Ansprache.
Einsamkeit bei jungen Menschen: Definition und persönliche Erfahrungen
00:10:04Der Stream beginnt mit der Einführung des Themas Einsamkeit, einem Gefühl, das viele junge Menschen betrifft, sei es nach einem Umzug in eine neue Stadt, inmitten einer vollen WG oder nach stundenlangem Scrollen auf Social Media. Es wird betont, dass Einsamkeit weitreichende Folgen für Gesundheit, Wirtschaft und Gemeinschaft haben kann, da sie das Vertrauen in sich selbst, andere und die Demokratie mindert. Als Gäste sind Lilia Usik, CDU-Abgeordnete und jugendpolitische Sprecherin aus Berlin, sowie Elias Jessen, Doktorand an der Charité Berlin im Bereich digitale Prävention, anwesend. Beide teilen ihre persönlichen Erfahrungen mit Einsamkeit. Elias beschreibt Einsamkeit als ein Ungleichgewicht zwischen gewünschten und tatsächlich vorhandenen qualitativen oder quantitativen Beziehungen. Lilia erinnert sich an Phasen der Einsamkeit als Teenagerin nach dem Umzug ihrer besten Freundin und betont die Unterscheidung zwischen gewollter Alleinsein und dem schambehafteten Gefühl der Einsamkeit. Auch der Einfluss von Sprachbarrieren und Integrationsschwierigkeiten wird als Auslöser für Einsamkeit thematisiert, wobei Lilia eine persönliche Anekdote über Schwierigkeiten beim Humor in einer Fremdsprache teilt. Der Chat wird aktiv zur Teilnahme und zum Teilen eigener Erfahrungen aufgerufen, wobei Hilfsangebote im Chat bereitgestellt werden.
Einfluss des Wohnorts und gesellschaftliche Wahrnehmung von Einsamkeit
00:16:32Die Diskussion vertieft den Einfluss des Wohnorts auf Einsamkeit, insbesondere in Großstädten wie Berlin. Es wird paradoxerweise festgestellt, dass Großstädte trotz vieler Menschen zur Einsamkeit beitragen können, da Anonymität und die Schwierigkeit, soziale Netzwerke aufzubauen, junge Menschen schnell isolieren. Auch die mangelnde Teilhabe an sozialen Events ohne hohe Kosten und die Gestaltung des öffentlichen Raums werden als Faktoren genannt. Ein Zuschauerbeitrag hebt hervor, dass nicht nur der Wohnort, sondern auch häufige Wohnortwechsel zu Kontaktverlust und der Notwendigkeit, immer wieder neue Beziehungen aufzubauen, führen können, was mit zunehmendem Alter schwieriger wird. Elias Jessen widerspricht teilweise der Annahme, dass Einsamkeit hauptsächlich ältere Menschen betrifft. Er betont, dass aktuelle Studien zeigen, dass Einsamkeit besonders bei jungen Menschen ausgeprägt ist, selbst wenn sie viele soziale Kontakte haben. Der entscheidende Punkt sei die Erwartung an diese Kontakte. Wenn die Realität nicht den hohen Erwartungen an ein großes soziales Netzwerk und Selbstverwirklichung entspricht, führt dies zu Druck, Schmerz und Einsamkeit. Eine Umfrage im Chat zeigt, dass 46 Prozent der 16- bis 30-Jährigen sich einsam fühlen, davon 10 Prozent dauerhaft, was die Dringlichkeit des Themas unterstreicht.
Politische Verantwortung und fehlende Umsetzung bei der Bekämpfung von Einsamkeit
00:24:26Lilia Usik äußert sich überrascht über die hohen Zahlen der Einsamkeit bei jungen Menschen nach der Corona-Pandemie und betont, dass das Thema nun stärker in den Fokus der Politik rückt. Sie verweist auf die Bundesstrategie gegen Einsamkeit als einen ersten Schritt, der jedoch mehr eine Zusammenfassung bestehender Projekte als eine Verpflichtung zu neuen Maßnahmen darstellt. Elias Jessen kritisiert, dass die Politik zwar ein Erkenntnisproblem, aber ein starkes Umsetzungsproblem im Umgang mit der mentalen Gesundheit junger Menschen hat. Er bemängelt, dass die Vehemenz, mit der in der Pandemie ältere Generationen geschützt wurden, bei jungen Menschen vermisst wird. Die Forderung nach mehr Geld und verbindlichen Maßnahmen wird laut. Die Frage, ob Einsamkeit eine politische oder persönliche Angelegenheit ist, wird intensiv diskutiert. Elias argumentiert, dass Einsamkeit ein sozialpolitisches Thema ist, da es oft mit sozialer Benachteiligung, Migration und fehlender Teilhabe zusammenhängt. Lilia betont die Rolle der Politik bei der Priorisierung und Finanzierung von Projekten, gibt aber zu, dass junge Menschen oft keine starke Lobby haben und ihre Anliegen aktiv einfordern müssen. Sie fordert eine aktive Einbindung junger Menschen in politische Prozesse.
Persönliche Bewältigungsstrategien und die Rolle von Kunst und Öffentlichkeit
00:34:40Marie Kummer, eine junge Frau, die öffentlich über ihre Einsamkeit spricht, wird in die Diskussion einbezogen. Sie teilt ihre Erfahrungen und erklärt, wie sie durch Poetry Slams und Social Media begann, ihre Gefühle in Kunst umzuwandeln. Marie beschreibt verschiedene Arten von Einsamkeit, von platonischen Beziehungen in der Corona-Zeit bis hin zur Sehnsucht nach romantischer Nähe. Sie betont, dass das öffentliche Sprechen ihr persönlich sehr geholfen hat, das Gefühl zu akzeptieren und zu erkennen, dass sie nicht allein ist. Die Reaktionen auf ihre Beiträge sind überwiegend positiv, viele Menschen bedanken sich für ihre Offenheit und teilen ähnliche Erfahrungen. Elias Jessen erklärt, dass es vielen schwerfällt, über Einsamkeit zu sprechen, da das Gefühl stark stigmatisiert ist und soziale Zugehörigkeit ein Grundbedürfnis des Menschen darstellt. Die Fähigkeit zur Scham spielt hier eine große Rolle. Maries Slogan 'gemeinsam einsam' wird als hilfreicher Ansatz gelobt, um das Gefühl der Isolation zu überwinden. Als persönliche Bewältigungsstrategie empfiehlt Marie, Dinge bewusst allein zu unternehmen, um die Einsamkeit zu 'reclaimen' und sich selbst zu stärken. Sie betont, dass dies ein empowerndes Gefühl ist, das ihr zeigt, dass sie niemanden braucht, obwohl sie sich natürlich Gesellschaft wünscht. Marie fordert abschließend, dass das Verständnis dafür wachsen muss, dass Einsamkeit ein politisches Thema ist und nicht nur in die private Sphäre verlagert werden darf, da es eng mit Armut, Migration und chronischen Krankheiten verbunden ist.
Sozioökonomische Faktoren und Einsamkeit
00:49:51Die Diskussion beleuchtet, wie sozioökonomische Faktoren wie Bildung, Einkommen und Gesundheit maßgeblich zur Einsamkeit beitragen. Es wird argumentiert, dass Individuen diese Probleme oft nicht alleine lösen können, sondern dass eine Regulierung auf Landesebene erforderlich ist. Geringes Einkommen schränkt die Teilnahme am sozialen Leben ein, da Aktivitäten wie Kinobesuche oder Freizeitparkbesuche mit Freunden finanziell nicht möglich sind. Eine geringere Bildung führt oft zu schlechterer Gesundheitsversorgung und geringerem Einkommen, was wiederum das Risiko von Einsamkeit erhöht. Es wird betont, dass die Verantwortung für diese systemischen Probleme nicht beim Einzelnen liegt, sondern bei der Politik, die auf einer größeren Ebene intervenieren muss, um diese Teufelskreise zu durchbrechen. Das Gefühl der Einsamkeit entsteht, wenn die Tiefe oder die Menge der Beziehungen als unzureichend empfunden wird, und nicht, wenn man bewusst Zeit allein verbringt.
Kollektives Wir-Gefühl und die Rolle von Sozialkontakten
00:51:58Der Chat wirft die Frage auf, was für ein kollektives Wir-Gefühl und Gemeinschaft notwendig ist, da bloße Angebote für Sozialkontakte nicht ausreichen, um Einsamkeit zu verhindern. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Vereinsarbeit oder das Ehrenamt, wo Menschen zwar zusammenkommen, aber nicht zwangsläufig tiefe Beziehungen aufbauen. Es wird betont, dass es entscheidend ist, sich einer Gruppe oder bestimmten Personen verbunden zu fühlen, unabhängig von der Quantität der Kontakte. Das subjektive Gefühl der Verbundenheit ist hierbei der Kern. Als Beispiel für ein spontanes kollektives Wir-Gefühl wird der Flashmob des Pudding-Essens mit Gabeln genannt, der zeigte, wie Menschen sich kurzzeitig als Teil einer Gruppe fühlen und Freude erleben können, auch wenn es sich um ein scheinbar sinnloses Event handelt. Solche Initiativen, die von Menschen selbst organisiert werden und wenig kosten, können ein Gefühl der Zugehörigkeit schaffen, das in der heutigen Gesellschaft oft fehlt.
Definition von Einsamkeit und die Rolle des Internets
00:57:05Es wird die Frage erörtert, was Einsamkeit genau bedeutet und wie sie sich vom Alleinsein oder dem Gefühl, unter Menschen zu sein, unterscheidet. Wissenschaftlich wird Einsamkeit oft durch Fragebögen erfasst und in emotionale und soziale Einsamkeit unterteilt. Emotionale Einsamkeit beschreibt Gefühle der Leere oder des Im-Stich-Gelassen-Seins, während soziale Einsamkeit den Mangel an vertrauten Personen oder engen Kontakten betrifft. Stark einsam ist man, wenn man sich in allen diesen Aspekten stark betroffen fühlt. Es wird klargestellt, dass Einsamkeit kein klinisches Bild einer psychischen Störung ist, sondern eine subjektive Erfahrung. Bezüglich des Internets wird betont, dass es nicht per se gut oder schlecht ist, sondern dass es auf die Art der Nutzung ankommt. Eine passive Nutzung wie stundenlanges Doomscrolling ist wahrscheinlich negativ, während die aktive Nutzung zur Kontaktpflege oder zum Aufbau von Communitys, wie auf Twitch, positiv sein kann. Eine Korrelation zwischen Mediennutzung und Einsamkeit bedeutet nicht zwangsläufig eine Kausalität; es könnte auch sein, dass einsame Menschen das Internet als Alternative zu fehlenden realen Kontakten nutzen.
Einsamkeit, Politikverdrossenheit und die Notwendigkeit politischer Maßnahmen
01:01:05Eine Studie aus Baden-Württemberg zeigt, dass junge Menschen sich nicht nur einsam fühlen, sondern auch von der Politik entkoppelt. Diese Ergebnisse sind weitgehend deckungsgleich mit Studien für ganz Deutschland und Europa. Einsamkeit betrifft alle Altersgruppen, wobei bei jungen Menschen ein besonderer Fokus liegt, da frühe Einsamkeit langfristige negative Auswirkungen haben kann. Es besteht ein Zusammenhang zwischen Einsamkeit und geringerem Vertrauen in die Demokratie, geringerem Zukunftsoptimismus und allgemeiner Unzufriedenheit mit politischen Prozessen. Menschen, die sich stark einsam fühlen, trauen sich seltener zu, politische Veränderungen bewirken zu können, und sind weniger zufrieden mit der Demokratie. Dies birgt die Gefahr, dass einsame Menschen sich radikaleren Parteien zuwenden, die ihnen ein Gefühl der Zugehörigkeit vermitteln. Es wird gefordert, dass die Politik das Thema Einsamkeit stärker priorisiert und entsprechende Angebote schafft, anstatt es der Zivilgesellschaft zu überlassen. Die digitale Lebenswelt wird als Neuland für Präventionsangebote identifiziert, da es hier noch keine gesetzlich verankerten Strukturen gibt. Die fehlende Priorisierung und Finanzierung von Präventionsmaßnahmen, insbesondere im Jugendbereich, wird kritisiert, da Prävention langfristig kostengünstiger ist als die Behandlung von Problemen.
Kürzungen im Jugendbereich und die Folgen für die Demokratie
01:12:56Eine Teilnehmerin aus der Community, autistischer Igel, betont den Zusammenhang zwischen Einsamkeit und fehlenden Räumen sowie Kürzungen im Jugendbereich. Sie kritisiert, dass viele Jugendzentren geschlossen wurden, weil Ehrenamtliche fehlen oder Projekte nicht finanziert werden. Dies sei besonders gravierend, da die Corona-Zeit eine prägende Phase für die Entwicklung junger Menschen war und zu wenig für sie getan wurde. Es wird die Diskrepanz zwischen der Bereitschaft, Gelder für andere Bereiche auszugeben, und der mangelnden Investition in die Jugend kritisiert, obwohl Studien belegen, dass jeder investierte Euro in die Jugend mehrfach zurückkommt. Die Folgen von Einsamkeit, wie Komorbiditäten und eine höhere Belastung des Gesundheitswesens, werden hervorgehoben. Es wird befürchtet, dass das Wegbrechen kommunaler Jugendangebote dazu führt, dass rechtsextreme Parteien diese Lücke füllen und Jugendliche mit ihren Ideologien infizieren, was eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Die Forderung ist, dass alle politischen Ebenen, von Bund bis Kommune, dieses Problem strategisch angehen und nicht nur auf die Bundesebene verweisen.
Die Notwendigkeit schnellerer politischer Handlung und zielgruppengerechter Ansprache
01:21:33Es wird die Notwendigkeit betont, dass die Politik im digitalen Zeitalter schneller handlungsfähig sein muss. Der Wunsch ist, dass konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Einsamkeit von oben organisiert und koordiniert werden, da gut gemeinte Bottom-up-Initiativen oft scheitern, wenn Gelder oder Ehrenamtliche fehlen. Es wird argumentiert, dass Investitionen in die Prävention von Einsamkeit langfristig wirtschaftlich sinnvoll sind. Ein weiteres zentrales Thema ist die effektive Ansprache junger Menschen. Es wird in Frage gestellt, ob traditionelle Angebote wie Telefonhotlines für 16-Jährige noch zeitgemäß sind. Stattdessen wird gefordert, direkt mit den jungen Menschen zu sprechen, um herauszufinden, wie sie am besten erreicht werden können. Chat-Angebote wie Krisenchat, die niedrigschwellig über WhatsApp oder SMS erreichbar sind, werden als vielversprechender Ansatz genannt, obwohl auch diese mit erheblichen Finanzierungsproblemen zu kämpfen haben. Die immensen passiven und aktiven Kosten von mentalen Gesundheitsproblemen in Deutschland, die sich auf Milliarden belaufen, unterstreichen die Dringlichkeit einer Priorisierung und massiven Investition in dieses Thema.
Herausforderungen in der politischen Umsetzung und die Rolle von Studien
01:25:27Die Diskussion beleuchtet die Herausforderungen bei der politischen Umsetzung von Maßnahmen gegen Einsamkeit, insbesondere im Kontext von Kompetenzen und Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. Es wird die Möglichkeit angesprochen, dass Berlin eine Vorreiterrolle einnehmen könnte, indem es eigene Studien und Maßnahmen anstößt. Es wird jedoch kritisiert, dass politische Prozesse oft zu langsam sind und zu viele Studien und Evaluationen benötigen, bevor konkrete Maßnahmen ergriffen werden. Die Sorge ist, dass dadurch eine ganze Generation verloren gehen könnte. Es wird betont, dass eine wissenschaftliche Basis und Evaluationen wichtig sind, um die Finanzierung von Projekten zu sichern und die Wirksamkeit zu belegen. Gleichzeitig wird die Bedeutung von Öffentlichkeitsarbeit hervorgehoben, um das Thema Einsamkeit in der breiten Masse, insbesondere bei Eltern, stärker ins Bewusstsein zu rücken. Die mangelnde Priorisierung von Einsamkeit im Jugendbereich im Vergleich zu anderen Themen oder älteren Generationen wird als Problem identifiziert, was sich auch in fehlenden zentralen Zuständigkeiten im Abgeordnetenhaus widerspiegelt.
Herausforderungen bei der politischen Umsetzung von Jugendthemen und Prävention
01:28:33Die Diskussion beleuchtet die Schwierigkeiten, Jugendthemen und Präventionsmaßnahmen in der Politik durchzusetzen. Es wird betont, dass Überzeugungsarbeit innerhalb der Fraktionen und in der Gesellschaft notwendig ist, um Gelder für diese Bereiche zu sichern. Ein Beispiel ist die Diskrepanz zwischen den hohen Aktivkosten (55 Milliarden Euro jährlich) und den vergleichsweise geringen Präventionskosten, die eigentlich ein Selbstläufer für politisches Handeln sein sollten, es aber leider nicht sind. Jeder Fachsprecher in einer Fraktion vertritt spezifische Interessen, was die Priorisierung von Jugendthemen erschwert. Es wird kritisiert, dass trotz des Wissens um die Wirksamkeit von Prävention und der Dringlichkeit von Themen wie Suizid bei jungen Menschen, die Umsetzung aufgrund bürokratischer Prozesse und mangelnder Überzeugung der breiten Masse, insbesondere innerhalb politischer Parteien wie der CDU, stockt. Die Forderung nach mehr Taten statt nur Worten im Bildungs- und Jugendbereich wird laut, da Kürzungen im sozialen Bereich, insbesondere in der Jugendarbeit, häufig vorgenommen werden, oft unter der Verantwortung von CDU-Politikern in ländlichen Regionen.
Konkrete Maßnahmen gegen Einsamkeit und die Rolle von Politik
01:33:38In der Abschlussdiskussion werden konkrete Maßnahmen gegen Einsamkeit erörtert. Es wird vorgeschlagen, parteiintern mit Bundesländern wie NRW und Baden-Württemberg zu sprechen, wo das Thema Einsamkeit bereits Chefsache ist. Organisatorische Ansätze werden als sinnvoll erachtet, da viele Bottom-up-Initiativen oft an fehlender Finanzierung scheitern. Insbesondere in Schulen sollen maßgeschneiderte Angebote zur Prävention von Einsamkeit geschaffen werden, wobei die genaue Ausgestaltung als Aufgabe der Politik definiert wird. Armutsprävention wird als umfassende Maßnahme zur Verhinderung von Einsamkeit und psychischen Problemen genannt. Es wird kritisiert, dass es trotz vieler Erkenntnisse kein Umsetzungsproblem, sondern ein Problem der politischen Verbindlichkeit und Finanzierung gibt. Ein zentrales Anliegen ist die Schaffung von mehr Therapieplätzen und die Verbesserung der Ausbildung von Psychotherapeuten, da das aktuelle System als katastrophal beschrieben wird und zu einem zukünftigen Fachkräftemangel führen könnte. Zudem wird eine verbindliche Schulsozialarbeit und Schulpsychologie sowie mehr Angebote in Schulen zur psychischen Gesundheitsförderung gefordert, um das Thema kontinuierlich und nachhaltig anzugehen.
Einsamkeit als gesellschaftliches Problem und die Rolle digitaler Medien
01:39:38Die Diskussion fasst die bisherigen Erkenntnisse zusammen: Einsamkeit ist ein umfassendes Problem mit Folgen für Gesundheit, Wirtschaft und Demokratie, da sie das Vertrauen in sich selbst und andere untergräbt. Es wird bemängelt, dass es keine zentrale Verantwortlichkeit oder ausreichende Finanzierung für Projekte gegen Einsamkeit gibt. Anschließend wird die Rolle digitaler Medien beleuchtet. Finesi, eine Content Creatorin, berichtet von den Herausforderungen und Vorteilen von Social Media. Einerseits bieten digitale Räume, insbesondere für queere Menschen, wichtige Verbindungen und Gemeinschaften, besonders wenn reale Begegnungsorte wegfallen. Andererseits führt der ständige Hass und die Diskriminierung online zu Rückzug und verstärkter Einsamkeit, die sich auch auf das Offline-Leben auswirken kann. Es wird betont, dass rechte und rechtsextreme Gruppen das Internet gezielt zur Stimmungsmache nutzen, was marginalisierte Gruppen besonders trifft. Trotz der Möglichkeit, Online-Safer-Spaces zu schaffen, bleiben diese nie vollständig sicher und erfordern ehrenamtlichen Einsatz. Die Politik wird in die Pflicht genommen, da das aktuelle politische Klima und Kürzungen in queeren Projekten das Gefühl des Alleingelassenseins verstärken.
Negative Auswirkungen von Social Media und lokale Initiativen gegen Einsamkeit
01:54:30Jonas teilt eine kritische Perspektive auf soziale Medien, die er als extrem komplex und mit schwer nachvollziehbaren Einflüssen auf Menschen beschreibt. Er sieht Social Media als einen Faktor, der Einsamkeit verstärken kann, indem er das Gefühl vermittelt, das Leben anderer sei besser (FOMO). Der Algorithmus begünstigt radikale und populistische Inhalte, was zu einem Vertrauensverlust in die Demokratie führen kann. Die negative Wirkung auf die mentale Gesundheit durch sozialen Vergleich und passives Konsumieren wird hervorgehoben. Im Gegensatz dazu können interaktive Medien wie Twitch, bei denen eine persönliche Verbindung zu den Streamern aufgebaut wird, positive Effekte haben. Savio stellt den Verein „Bochum vereint“ vor, der sich dafür einsetzt, reale Begegnungen zu schaffen und Einsamkeit aus der Tabuzone zu holen. Der Verein organisiert Veranstaltungen wie „Pleusgen mit Käffchen“ und Spaziergänge, die über Social Media beworben werden, aber bewusst nicht aggressiv als „Anti-Einsamkeits-Veranstaltungen“ gebrandet sind. Der Erfolg des jungen Vereins zeigt den großen Bedarf an solchen Initiativen. Es wird jedoch betont, dass Vereinsarbeit allein das strukturelle Problem der Einsamkeit nicht lösen kann, da Politik und Stadtplanung eine entscheidende Rolle spielen, die über Buzzwords hinausgehen muss.