Presseclub - Talk Forward I Klimaschutz in Krisenzeiten – Wie geht es wieder voran?

Klimaschutz in der Krise: Wege aus der Sackgasse und neue Lösungsansätze

Presseclub - Talk Forward I Klimaschu...
ARD
- - 01:47:04 - 6.732 - Just Chatting

Die Diskussion beleuchtet den Stand des Klimaschutzes angesichts aktueller Krisen. Themen sind der Emissionshandel als Lösung, Wahlprogramme mit Klimageld und Klimadividende, die Rolle erneuerbarer Energien und Atomkraft, CO2-Verpressung, Technologieoffenheit versus Emissionshandel, Infrastruktur und ÖPNV sowie die Frage nach individueller Verantwortung versus systemischen Lösungen.

Just Chatting

00:00:00
Just Chatting

Klimaschutz in Krisenzeiten: Eine Bestandsaufnahme

00:15:33

Die Sendung thematisiert den Klimaschutz, der im aktuellen Wahlkampf trotz jüngsterExtremwetterereignisse wie Brände und Überflutungen in den Hintergrund geraten ist.Die Gäste, Morten Freidel von der NZZ, Samira El-Hattab vom WDR und Mirko Drotschmann (MrWissen2Go), diskutieren über die Gründe dafür und mögliche Lösungsansätze. Samira El-Hattab erklärt, dass die Klimakrise von anderen, akuten Krisen überlagert wird und die Angst vor denKonsequenzen des Klimawandels viele Menschen dazu bringt, das Thema zu verdrängen. Morten Freidel ergänzt, dass die Energiekrise, wirtschaftliche Probleme und Migration die politische Agenda dominieren, wodurch der Klimawandel als schleichender Prozess weniger dringlich erscheint. Mirko Drotschmann betont, dass Klimaschutz oft als Verhinderung von etwas wahrgenommen wird, was seine politische Vermittelbarkeit erschwert, im Gegensatz zu direkten Maßnahmen wie der Abschaffung der Mehrwertsteuer aufLebensmittel. Die Diskussionsteilnehmer stellen fest, dass das Thema Klima in der öffentlichen Wahrnehmung und im Wahlkampf an Bedeutung verloren hat, obwohl der Expertenrat für Klimafragen warnt, dass Deutschland seine Klimaziele beiFortsetzung der aktuellen Politik verfehlen wird. Es wird betont, dass insbesondere die Sektoren Verkehr und Gebäude große Herausforderungen darstellen, wobei der Gebäudesektor aufgrund vieler privater Eigentümer politisch schwer zu steuern ist.

Emissionshandel als Lösung?

00:22:57

Morten Freidel warnt davor, Klimaschutz auf einzelne Sektoren zu verengen und dirigistisch einzugreifen, da dies zu Ablehnung in der Bevölkerung führen kann, wie das Gebäudeenergiegesetz gezeigt habe. Er plädiert für den europäischen Emissionshandel (ETS) als sektorübergreifende Lösung, bei der CO2-Einsparungen dort erfolgen, wo es am einfachsten ist. Mirko Drotschmann erklärt den Emissionshandel als System mit einem Grenzwert für Emissionen innerhalb der EU, wobei Unternehmen Zertifikate kaufen müssen, um Emissionen zu verursachen. Wer weniger emittiert, kann Zertifikate verkaufen. Samira El-Hattab betont, dass die EU-Ebene bereits Sektorziele festlegt und Deutschland diese beachten muss, um Strafzahlungen zu vermeiden. Sie argumentiert, dass eine Abmilderung durch Förderungen wichtig ist, um die Bevölkerung nicht zu überfordern, da steigende Preise durch den Emissionshandel drohen. Morten Freidel entgegnet, dass Förderungen letztlich vom Steuerzahler finanziert werden und er auf die Eigenverantwortung der Bürger setzt, die beiNeubauten oder Heizungssanierungen die langfristigen Kosten berücksichtigen sollten. Samira El-Hattab weist darauf hin, dass viele Bürger die Komplexität des ETS nicht verstehen und die Politik hier eine Kommunikationspflicht hat. Sie betont, dass das Gebäudeenergiegesetz ein Versuch war, aufzuklären und Förderungen anzubieten, um frühzeitig Anreize für klimafreundliche Investitionen zu setzen.

Wahlprogramme im Fokus: Klimageld und Klimadividende

00:32:02

Die Diskussionsteilnehmer analysieren die Wahlprogramme der Parteien bezüglich Klimaschutzmaßnahmen im Gebäudesektor. Die Union setzt vor allem auf den Emissionshandel, während SPD und Grüne auch andere Instrumente bevorzugen. Es wird festgestellt, dass wirtschaftliche Aspekte in den Programmen eine große Rolle spielen und Anreize zurUmstellung auf klimafreundliche Technologien wichtiger sind als Bestrafungen. Die meisten Parteien, mit Ausnahme der AfD, planen Förderprogramme, die durch Einnahmen aus dem CO2-Preis und Emissionshandel finanziert werden sollen. Die Linke will einkommensabhängig bis zu 100 Prozent der Kosten für Heizungssanierungen übernehmen. Das Klimageld, ein Vorhaben der Ampel-Koalition, das nicht umgesetzt wurde, ist ebenfalls Thema. SPD, Grüne und FDP planen eine Rückzahlung pro Kopf, wobei die Grünen eine sozialeStaffelung bevorzugen. Die Union nennt es Klimabonus und will damit Stromkosten senken. Morten Freidel betont, dass Klimaschutz zunächst Geld kostet und den Wohlstand gefährden kann, wenn er zu teuer wird. Er kritisiert den deutschen Weg, primär auf Wind und Sonne zu setzen, als den teuersten und verweist darauf, dass andere Industrieländer auch auf Atomenergie setzen. Samira El-Hattab entgegnet, dass der Ausbau erneuerbarer Energien Deutschland unabhängiger macht, wie die Abhängigkeit von russischem Gas gezeigt habe.

Erneuerbare Energien und Atomkraft: Ein Blick in die Zukunft

00:40:59

Morten Freidel bezweifelt, dass der geplante Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland realistisch ist, da die benötigten Zubauraten bei Wind- und Solarenergie enorm hoch sind. Er kritisiert die Abhängigkeit von seltenen Erden aus China für den Bau von Windrädern und plädiert für eine Renaissance der Atomkraft, um die Energieversorgung zu sichern. Samira El-Hattab betont, dass der Umbau des Energiesystems eine große Herausforderung ist, aber auch Chancen bietet, unabhängig von fossilen Brennstoffen zu werden. Sie verweist auf die Probleme und hohen Kosten beim Neubau von Atomkraftwerken und die staatlichen Subventionen, die dafür notwendig wären. Morten Freidel entgegnet, dass Deutschland durch den Ausstieg aus der Atomkraft die Energie verknappt und auf eine teure und unsichere Energieversorgung setzt. Er kritisiert die politische Haltung der Grünen, die eine Lösung der Endlagerfrage an den Atomausstieg knüpfen. Samira El-Hattab räumt ein, dass die Endlagerung eine schwierige Aufgabe ist, betont aber, dass Finnland hierVorreiter ist. Die Diskussionsteilnehmer analysieren die Wahlprogramme der Parteien bezüglich der Atomkraft. SPD, Grüne und Linke wollen am Atomausstieg festhalten, während Union, FDP, AfD und BSW neue Kraftwerke bauen oder zumindest die Option prüfen wollen. Mirko Drotschmann erklärt die Kernfusion als vielversprechende, aber noch ferne Technologie, die große Investitionen erfordert. Er betont, dass die Entscheidung für oder gegen bestimmte Technologien eine Wette auf die Zukunft ist.

CO2-Verpressung und Parteipositionen

01:00:32

Die CO2-Verpressung wird als Instrument für schwer transformierbare Industrien wie die Stahlindustrie diskutiert, um die Transformation zu beschleunigen. Das CO2 wird dabei verpresst und unter der Erde gespeichert. Obwohl Forschungsergebnisse als relativ risikoarm gelten, bestehen Bedenken hinsichtlich möglicher Risiken wie die Versauerung des Grundwassers oder gesundheitliche Beeinträchtigungen durch aufsteigendes CO2. Die Grünen prüfen diese Option als Teil ihrer Klimaschutzstrategie. Die Union erwähnt CO2-Verpressung ebenfalls in ihrem Programm, während andere Parteien alternative Optionen bevorzugen. Der Verkehrssektor, der seine Ziele oft verfehlt, wird als ein Bereich hervorgehoben, in dem dringender Handlungsbedarf besteht. Elektromobilität wird von Grünen und SPD als zukunftsweisend angesehen, während andere Parteien am Verbrenner festhalten wollen. Es wird betont, dass ein Verbrenner-Aus ab 2035 keine sofortige Abschaffung aller Verbrenner bedeutet, sondern lediglich die Neuzulassung von Fahrzeugen mit Öl, Diesel oder Benzin betrifft. Dies soll dazu beitragen, die Klimaneutralitätsziele bis 2045 (Deutschland) bzw. 2050 (Europa) zu erreichen.

Technologieoffenheit vs. Emissionshandel

01:04:44

Die Debatte in Deutschland ist stark von Technikfixierung geprägt, wobei über die Vor- und Nachteile einzelner Technologien diskutiert wird. Es wird ein Beispiel skizziert, in dem ein scharf geschalteter Emissionshandel dazu führt, dass synthetische Kraftstoffe aus Solaranlagen in der Sahara konkurrenzfähig werden und eine Industrie entsteht. Die Frage wird aufgeworfen, ob es sinnvoller wäre, alle Energie in eine Technologie zu stecken oder auf Technologieoffenheit zu setzen. Technologieoffenheit wird befürwortet, um den Wettbewerb des Marktes zu nutzen, wobei der Emissionshandel sicherstellt, dass die CO2-Emissionen trotzdem sinken. Es wird jedoch kritisiert, dass der Markt Menschen mit weniger Wissen und geringerem Einkommen benachteiligen könnte, da E-Fuels lange teuer bleiben werden. Befürworter des freien Marktes argumentieren, dass sich der Markt selbst regulieren werde, indem Menschen entweder den höheren Preis für Verbrenner zahlen oder auf Elektroautos umsteigen. Es wird festgestellt, dass Deutschland das Ziel von 15 Millionen E-Autos bis 2030 weit verfehlt (derzeit 1,6 Millionen).

Infrastruktur und ÖPNV

01:10:38

Die Parteien sind geteilter Meinung über das Verbrenner-Aus, wobei SPD, Grüne und Linke dafür sind, während Union, FDP und AfD dagegen sind. Einigkeit besteht weitgehend über den Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos. Der öffentliche Nahverkehr (ÖPNV) kommt in den Wahlprogrammen zu kurz. Die Linke möchte zum 9-Euro-Ticket zurückkehren, während die meisten anderen Parteien es zumindest erhalten wollen. Das Schienennetz wird kaum thematisiert. Es wird kritisiert, dass der Staat nicht ausreichend in den Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur investiert hat, was die Attraktivität dieser Technologie mindert. Die AfD lehnt jegliche öffentliche Förderung ab. Fachkräftemangel im ÖPNV wird als Problem thematisiert, da ausgebildete Kräfte oft zu besser zahlenden Unternehmen abwandern. Der ÖPNV wird als Aufgabe der öffentlichen Hand gesehen, die für ein kostengünstiges und regelmäßiges Angebot sorgen muss. Es wird darauf hingewiesen, dass der Emissionshandel noch nicht auf den Verkehrssektor ausgeweitet ist, was sich 2027 ändern soll. Die Union nennt den Emissionshandel als Finanzierungsmöglichkeit, während die SPD einen Deutschlandfonds vorschlägt, um in Infrastruktur zu investieren.

Individuelle Verantwortung vs. Systemische Lösungen

01:21:37

Es wird diskutiert, inwieweit der Einzelne für den Klimaschutz verantwortlich ist. Es wird kritisiert, dass die Verantwortung zu stark auf das Individuum verschoben wird, während große Unternehmen die Hauptverursacher von Emissionen sind. Die Idee des CO2-Fußabdrucks wird als Strategie fossiler Unternehmen dargestellt, um die Verantwortung zu individualisieren. Es wird betont, dass man sich nicht zurücklehnen und wie bisher weitermachen sollte, sondern sich bewusst machen sollte, was klimafreundlich ist. Es wird argumentiert, dass die Masse an Individuen mit hohem Lebensstandard das Problem verursacht. Die Größenordnung des persönlichen Verzichts, die nötig wäre, um das Problem zu lösen, wird als immens und nicht mehrheitsfähig dargestellt. Stattdessen wird ein anderer Weg gefordert. Es wird auf Kommentare aus dem Chat verwiesen, die zeigen, dass einige Menschen bereits auf viel verzichten, während andere dies als nicht umsetzbar für Wohlhabende ansehen. Es wird betont, dass es wichtig ist, ein Bewusstsein zu schaffen und dass die Politik einen Rahmen schaffen muss, in dem wir klimaneutral leben können, ohne unseren Wohlstand zu gefährden. Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass ein Weiterleben wie bisher zu noch größeren Wohlstandsverlusten führen wird.